Olympische Spiele 2024: In einem unserer vergangenen Beiträge haben wir dir die Grundlagen des Olympischen Gewichthebens erklärt. Du hast erfahren, was du über die beiden Disziplinen, das Reißen und das Stoßen wissen musst und welche Ausrüstung du brauchst, wenn es dir in den Fingern jucken sollte, dich selbst einmal an diesem Sport auszutesten.
Heute geht es ans Eingemachte: Wir sprechen über das große Thema Doping im Gewichtheben, erklären dir wie es derzeit um den Sport steht und welche Rolle die neuen Gewichtsklassen in Paris spielen werden.
Doping im Gewichtheben – Der lange Schatten einer unliebsamen Tradition
Doping – also die Nutzung verbotener Substanzen zur Verbesserung körperlicher oder geistiger Leistungsfähigkeit, begann ab den 1950ern zur immer häufiger anzutreffenden Praktik im Leistungssport zu werden. Von hier ab verbreitete sich die Praktik wie ein Lauffeuer durch die Welt des Wettkampfsports – allen voran in Disziplinen wie dem Gewichtheben oder dem Kugelstoßen. Ab den 1960ern setzte sich die Nutzung von leistungssteigernden Substanzen in nahezu allen organisierten Wettkampfsportarten durch.
Die erste größere Gegenoffensive gegen Dopings im Sport startete 1999 mit der Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), einer unabhängigen Organisation die sich zum Ziel gesetzt hat, durch einheitliche Regularien und effektive Kontroll- und Test-Protokolle zu einem sauberen und fairen Wettkampf-Sport beizutragen.
Seither liefern sich WADA und der professionelle Doping-Markt gewissermaßen einen Wettlauf: während WADA versucht, ihre Testprotokolle auf dem aktuellen Stand der Technik zu halten und alle bekannten verbotenen Substanzen nachweisbar zu machen, versucht die Doping-Branche stets neue Präparate zu entwickeln, die signifikante Leistungssteigerungen erzielen ohne dabei von den Kontrolleuren überprüfbar zu sein.
Dieser Wettlauf führt bisweilen dazu, dass neu-entwickelte Testprotokolle von WADA Betrugsfälle aufdecken, die bereits lange in der Vergangenheit liegen. Der vielleicht bedeutendste Skandal-Fall in der Geschichte des Dopings entwickelte sich daher erst Jahre nach dem eigentlichen Wettkampf, als eingefrorene Proben der Olympischen Spiele von 2008 und 2012 erneut überprüft wurden. Insgesamt 98 Athletinnen und Athleten wurden hierbei rückwirkend des Dopings überführt. Bei 61 dieser Athletinnen und Athleten handelte es sich um Gewichtheber – darunter die erfolgreichsten und bekanntesten Gesichter der Sportart.
Das Olympische Gewichtheben ist also gewissermaßen die Kinderwiege des modernen Dopings und die Nutzung illegaler Substanzen bleibt, trotz der Bemühungen der Anti-Doping-Organisationen, bis heute eine weit verbreitete Praktik innerhalb des Sports.
Gewichtsklassen – Duelle auf Augenhöhe – "Masse bewegt Masse"
Gewichtsklassen gehören untrennbar zum organisierten Wettkampfsport des Gewichthebens.
Doch warum gibt es überhaupt Gewichtsklassen im Sport? Die kurze Erklärung lautet: Masse bewegt nun mal Masse.
Bei Sportarten, die zu einem wesentlichen Teil daraus bestehen, Kraft auf ein Objekt (oder einen Gegner) auszuwirken, ist zusätzliche Körpermasse ein signifikanter Vorteil.
Stell dir mal vor, du würdest an einem Boxkampf teilnehmen. Wie du vielleicht ahnen kannst, macht es einen wesentlichen Unterschied, ob du von dem Haken eines Fliegengewichts (bis zu 51 Kilo) getroffen wirst, oder ob dich der Hammer eines Schwergewichts (bis 92 Kilo) erwischt. Ein Schwergewicht kann signifikant größere Kräfte in seinen Hieb legen und mit einem einzigen Schlag viel größeren Schaden anrichten – insbesondere wenn du als sein Gegner nicht ein ähnliches Kampfgewicht entgegenzusetzen hast.
Genauso verhält es sich beim Gewichtheben. Ein schwerer Athlet wird tendenziell auch in der Lage sein, größere Lasten zu heben als ein leichterer. Die verschiedenen Klassen erlauben also, eine relative Vergleichbarkeit zwischen körperlich ähnlichen Sportlern herzustellen.
Eine alternative Möglichkeit, um eine Vergleichbarkeit auch über Gewichtsklassen hinweg herzustellen, bildet der sogenannte Sinclair-Koeffizient. Bei dieser Methode wird die gehobene Last mit dem Körpergewicht eines Athleten ins Verhältnis gesetzt und eine relative Punktzahl errechnet.
Diese Variante findet jedoch eher bei Amateur-Cups Verwendung, bei denen tendenziell weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer ins Feld gehen.
Neue Gewichtsklassen für Olympia
Eigentlich wird versucht, bestehende Gewichtsklassen über einen möglichst langen Zeitraum hinweg zu erhalten. Dadurch können die Leistungen der Athleten über einen langen Zeitraum hinweg verglichen werden und es lassen sich interessante Analysen ziehen.
Aus anderen Sportarten kennt ihr vielleicht Diskussionen, die Legenden aus vergangenen Zeiten mit denen der derzeitigen Ära zu vergleichen. Wer ist denn nun der “Beste aller Zeiten”? Michael Jordan, Kobe Bryant oder LeBron James?
Im Gewichtheben sind solche Vergleiche einfacher zu ziehen als etwa im Basketball. Das Reißen und das Stoßen stellt die Athleten seit einem guten Jahrhundert vor die gleiche Herausforderung und konstante Gewichtsklassen ermöglichen eine Vergleichbarkeit von ähnlichen Körper-Typen über die Zeit hinweg. Oder zumindest sollte es so sein.
Dieses Jahr bei Olympia wird es anders laufen.
Die anhaltenden Probleme im Bereich des Dopings und die regelmäßigen Vorwürfe der Korruption innerhalb des Internationalen Gewichtheber-Verbandes (IWF) veranlassten das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit dem Ausschluss der Sportart von den Olympischen Spielen zu drohen, sollte der Verband keine spürbaren Reformen durchsetzen, um das Image und die Integrität der Disziplin zu verbessern.
Dieses Risiko des Ausschlusses stellt eine ernsthafte Bedrohung für das Olympische Gewichtheben als Wettkampfsport dar.
Sowohl Sichtbarkeit und die Finanzierung durch Sponsoren eines professionellen Sports hängen maßgeblich von der Repräsentation bei Olympia ab. Eine Aberkennung dieser Sichtbarkeit würde signifikante Einschnitte für Athleten, Trainer und Funktionäre des Sports bedeuten. Talentierte Sportler und übriges Personal wandern ab und das Leistungsniveau leidet. So etwas kann schnell in einer Abwärtsspirale für eine Sportart enden.
Zusätzlich gäbe es die etwas peinliche Problematik einer nunmehr unpassenden Bezeichnung der Sportart. Die Funktionäre des Sports müssten sich wohl auf der Suche nach einer neuen, passenderen Bezeichnung für den Sport machen, sollte das “Olympische” Gewichtheben nicht länger seinen Status als “Olympische” Disziplin halten können.
Teil der Reformen, die der IWF daher durchgesetzt hat, liegt in den erst vor kurzem neu eingeführten Gewichtsklassen für offiziell sanktionierte Wettkämpfe.
Dies hat zur Folge, dass es einige spannende neue Duelle in Paris zu bestaunen geben wird, da sich die Athletinnen und Athleten in der neuen Kategorien-Landschaft zurechtfinden müssen. Neue Weltrekorde für die jeweiligen Kategorien werden aufgestellt und der ein oder andere wird sich nun mit neuer Konkurrenz konfrontiert sehen, die zuvor noch in einer anderen Klasse angetreten ist.
Die neuen Gewichtsklassen im Überblick
Die Herren treten nunmehr in den Gewichtsklassen 61 Kilo, 73 Kilo, 89 Kilo, 102 Kilo und 102 Kilo+ an.
Die Damen wiederum streiten in den Klassen 49 Kilo, 59 Kilo, 71 Kilo, 81 Kilo, und 81+ Kilo um die begehrten Medaillen.
Was erwartet uns in Paris 2024?
Aufgrund der starken Kritik der vergangenen Jahre und dem drohenden Ausschluss, wurden vor den Spielen 2024 eine Reihe von Maßnahmen durch die IWF ergriffen, die zu einem sauberen Ablauf des Wettkampfs beitragen sollen. Die neuen Gewichtsklassen sorgen zudem für eine Durchmischung des Teilnehmerfelds, das einige interessante Duelle zur Folge haben wird.
Ob diese Reformen ausreichen werden, um das Image des Olympischen Gewichthebens nach und nach reinzuwaschen, wird sich zeigen. Weitere Skandale könnten dagegen das vorzeitige Aus für die nächsten Sommerspiele 2028 in Los Angeles bedeuten.
So oder so – die WADA und Funktionäre des IOC werden dieses Jahr bei den Athleten ganz genau hinsehen und die diesjährigen Spiele könnten sich als Richtungsweisend für den Kurs der kommenden Jahrzehnte für die gesamte Sportart erweisen.