Mentale Stärke trainieren

Mentale Stärke trainieren

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Auch der Geist muss üben - Die Bedeutung von Mentaltraining im Sport

Nur 30 Prozent der Sportlerinnen und Sportler schaffen es, beim Wettkampf ihre volle körperliche Leistung abzurufen. Mentale Stärke spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Mentale Stärke bedeutet Selbstbewusstsein, Belastbarkeit und Resilienz. Der Glaube an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten beeinflusst sportliche Leistungen und umgekehrt. Wie die Muskelkraft lässt sich auch mentale Stärke trainieren.

Mentale Stärke ermöglicht es, sich hohe Ziele zu setzen, sich zu motivieren, Rückschläge wegzustecken und Stress zu bewältigen. Stress wird stattdessen in produktive Energie umgewandelt. 

Eine Frau meditiert mit geschlossenen Augen

Sportpsychologie: Ist mentale Stärke angeboren oder kann man sie erlernen?

Die Sportwissenschaften und die Psychologie beschäftigen sich in zahlreichen Studien mit diesem Thema: Angeboren oder erworben? Im Falle der mentalen Stärke spielen sowohl genetische Faktoren eine Rolle als auch Lernen und Erfahrung. 

Der Marshmallow-Test

Es gibt diverse Versuche, die diese These stützen - dazu gehört unter anderem der sogenannte Marshmallow-Test. Der Ablauf ist relativ einfach. Vorschulkinder bekommen ein Marshmallow und werden vor die Wahl gestellt. Entweder sie essen dieses sofort oder sie üben sich einige Minuten in Geduld und erhalten als Belohnung ein zweites. Einige Kinder konnten der süßen Versuchung widerstehen, andere wählten den sofortigen Genuss. 

Die Kinder wurden nach diesem Versuch weitere 40 Jahre lang regelmäßig interviewt. Tatsächlich waren jene Kinder aus dem Experiment, denen es gelang zu warten, als junge Erwachsene erfolgreicher in Schule und Ausbildung, körperlich fitter, emotional stabiler und seltener drogensüchtig. Dies sollte als Beweis für den Zusammenhang von Veranlagung und Erfolg dienen.

Einige kritisieren an der Auswertung (verständlicherweise), dass mit dem sozialen Umfeld der Kinder und Bildungsniveau der Eltern zwei wesentliche Faktoren für die Entwicklung von Heranwachsenden nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Aus dem Test auf genetische Faktoren zu schließen gibt das Forschungsdesign eigentlich nicht her. 

Der Marshmallow-Test zeigt allerdings deutlich einen Zusammenhang zwischen der Impulskontrolle bzw. dem Belohnungsaufschub und mentaler Stärke, aus dem sich Rückschlüsse auf akademische, soziale und emotionale Erfolge im späteren Leben ziehen lassen.

Selbstkontrolle und sportliche Leistung

Fest steht jedoch, dass man sich im Sport oft in Selbstkontrolle üben und kurzfristig Verlockungen widerstehen muss, um langfristige Ziele zu erreichen. Wir wissen mittlerweile, dass mentale Stärke zum Teil  in unserer DNA steckt. Sie ist aber auch eine Geisteshaltung, die entweder in jungen Jahren (unbewusst) übernommen wird oder durch persönliche Denkprozesse (bewusst) entsteht.

Wenn du ab einem gewissen Punkt die Denkweise vertrittst, kein einziges Training mehr grundlos ausfallen zu lassen, dann hast du dir im Laufe deines Lebens eine Mentalität geschaffen, die die Grenzen deines Leistungspotenzials in ungeahnte Höhen schrauben kann.

Im Sport geht es nicht darum, sich alles zu verbieten, was einen nicht weiterbringt. Mentale Stärke kann dir jedoch dabei helfen, auch mal nein zu sagen, wenn dir Arbeitskollegen ein Stück Kuchen anbieten. Du siehst das Gesamtbild und opferst unmittelbare, kurzfristige Versuchungen einem ferneren, langfristigen Ziel. Deine Fitness ist dein zweites Marshmallow.

Mentaltraining zur Leistungssteigerung

Mentale Stärke im Sport wird oft vernachlässigt, da sie im Vergleich zu anderen Aspekten wie Training und Ernährung weniger erforscht und schwer messbar ist. Der Fokus liegt oft auf messbaren Erfolgen wie Rekorden oder körperlichen Veränderungen.

Die Wichtigkeit des mentalen Aspekts gerät jedoch zunehmend in den Fokus, da er die Leistungsfähigkeit beeinflussen kann. Sportler sollten ihr Gehirn wie einen Muskel trainieren und Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft und Sportpsychologie nutzen.

Autosuggestion und die Kraft der Gedanken

Gefühle im Sport sind wichtig und können dazu beitragen, dass du über dich hinauswächst. Negative Gedanken und Selbstzweifel sind im Wettkampf dein Feind. Stattdessen solltest du dich auf deine Fähigkeiten besinnen und diese positiv verstärken.

Wenn du beispielsweise bei Kniebeugen besonders stark bist, sage dir immer wieder, dass du kräftige Beine hast, und verbinde dies mit dem Wort „Kraft“. So wirst du selbstbewusster und überzeugst dich selbst davon, dass du ein besserer Sprinter bist. Dieses Prinzip nennt man Autosuggestion oder Selbstbeeinflussung und es kann erlernt werden.

Kleiner Exkurs in die Neurowissenschaften: Der neuronale Pfad

Wie verankert man bestimmte Erinnerungen im Gehirn und verbindet diese idealerweise zusätzlich mit einem Trigger-Wort? Dazu ist es notwendig eine bestimmte Erfahrung nicht nur visuell (im visuellen Cortex), sondern auch akustisch (im auditiven Cortex) und haptisch (im somatosensorischen Cortex) abzuspeichern und bei Bedarf jederzeit abzurufen.

Die positiven Emotionen aus deinem Training speichert das limbische System ab. Der Hippocampus eint schließlich all diese Eindrücke zu einem Gesamtbild und koppelt dieses an das Wort „Kraft". All diese verschiedenen Areale im Gehirn können nun durch das Trigger-Wort reaktiviert und die mit der Erinnerung verbundene Energie freigesetzt werden. 

Wie übe ich Autosuggestion?

Wenn du nun, wie in unserem konkreten Beispiel, das Selbstbewusstsein aus deinem Squat-Training in dein Sprint-Training integrieren willst, musst du dir ein starke Suggestion zu dem Wort “Kraft” auf allen Ebenen und mit allen Sinnen schaffen:

  • Sehen: Stell dir vor, wie du im Squat Rack stehst und die Übung ausführst. Versuche möglichst viele Details zu integrieren. Wie ist die Beleuchtung im Fitnessstudio oder Home Gym? Welche Trainingskleidung trägst du?
  • Spüren: Stell dir die Anstrengung vor, die du meisterst, das Gefühl in den Beinen, den schnelleren Herzschlag, die erhöhte Körpertemperatur, dein schneller, flacher Atem.
  • Hören: Vielleicht kannst du dich atmen hören oder du hörst im Hintergrund, wie Gewichtsscheiben aneinander scheppern und es läuft deine Workout-Musik, die du bei deinen schweren Sätzen immer hörst. 
  • Riechen: Unser Geruchsgedächtnis ist einer der ältesten Teile unseres Gehirns und besonders empfänglich für starke emotionale Assoziationen. Stell dir also den Geruch vor: Der Kunststoff am Gerät oder das Waschmittel deiner Sportkleidung, der Dunst des Trainings.
  • Schmecken: Arbeite mit allen Sinnen. Nimm auch wahr, wie dein Mund durch den schweren Atem trockener wird oder ein salziger Geschmack auf der Zunge liegt.
  • Fühlen: Spüre das Adrenalin, die Glücksgefühle, Selbstzufriedenheit und Wärme, die beim Training entstehen.

Auf diese Weise speichert dein Hippocampus die ganzheitliche Erfahrung deines Kniebeuge-Trainings zu dem Wort Kraft ab und du kannst das Selbstbewusstsein aus dieser Erfahrung mithilfe des Triggerwortes “Kraft” jederzeit abrufen, im Training oder auch im Alltag, wenn du es brauchst.

Meditation gegen Stress

Meditation kann diese Prozesse erwiesenermaßen unterstützen und die mit negativem Stress einhergehende, emotionale Belastung reduzieren. Spitzensportler wie Michael Jordan, Kobe Bryant und Novac Djokovic meditier(t)en regelmäßig und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft beschäftigte bei der WM 2014 als einzige Mannschaft einen Meditationstrainer.

Richtiges Meditieren senkt die Herzfrequenz, den Blutdruck und den Cortisolspiegel und lässt dich die richtigen Entscheidungen treffen, wenn es darauf ankommt.

Mentaltraining für mehr Selbstbewusstsein

Selbst die besten Sportler ersuchen Hilfe in mentalem Training von entsprechenden Spezialisten. Was früher noch als Tabuthema verschrien war, gehört heute schon fast zum guten Ton. Die Bereitschaft, von anderen zu lernen, ist dabei genauso wichtig wie die, aus den eigenen Fehlern zu lernen. Deine Fehler sind immer eine Gelegenheit, dich zu verbessern.

Mentale Übungen gegen Ängste und Zweifel

Mentaltraining sorgt auch dafür, dass du lernst, mit deinen Ängsten und Zweifel besser umzugehen. Setze dich mit ihnen auseinander, anstatt sie zu verdrängen. Mit einigen einfachen Techniken, kannst du Selbstzweifel und Ängsten Einhalt gebieten:

  • Stopp sagen: Wenn du in Panik verfällst und nicht mehr aufhören kannst zu zweifeln und dir einzureden, das du einer bestimmten Herausforderung nicht gewachsen bist, hilft es einfach in Gedanken oder auch laut “Stopp” zu sagen. Setze oder stelle dich gerade hin, atme kräftig aus und sage “Stopp”, um die gefährliche Gedankenkette abzubrechen.
  • Ängste aufschreiben: Manchmal hilft es auch, deinen Zweifel zu Papier zu bringen. Formuliere, wovor du genau Angst hast und was, falls deine schlimmsten Befürchtungen eintreten, die Konsequenzen wären. Meistens wirst du auf diese Weise merken, dass die möglichen Folgen weit weniger schlimm sind, als die Angst selbst. Dadurch lässt sich so manch eine mentale Blockade lösen, die dich davon abgehalten hat, dir größere Ziele zu stecken.
  • Optiismusm: Bewahre dir stets einen gesunden Optimismus. Probleme sind in Wirklichkeit nur Herausforderungen. Menschen, die bereits einen Plan B für den Fall eines Scheiterns bereithalten, müssen statistisch gesehen auch häufiger davon Gebrauch machen. Was uns nicht umbringt, macht uns bekanntlich stärker.

Mentaltraining und Schmerzmanagement

Leistungssportler weisen gegenüber Hobbysportlern eine veränderte Schmerzwahrnehmung auf. Nicht nur liegt die Schwelle, von der ein Reiz als Schmerz wahrgenommen wird, höher, auch die Schmerztoleranz ist deutlich erhöht. 

Mentale Übungen für Schmerztoleranz und Ausdauer

Wenn auf halbem Wege eines Marathons der gesamte Körper brennt und sich die Beine wie Blei anfühlen, vermeide negative Gedanken wie „Ich kann nicht mehr". Wenn der Geist aufgibt, zieht der Körper bald nach. Der Körper reagiert mit einem erhöhten Puls und deine Muskeln verkrampfen.

Versuche deinen Fokus weg von den körperlichen Strapazen zu lenken und gib dich stattdessen kämpferisch. Ein „Ich schaffe das!" in Verbindung mit der Visualisierung deines eigenen Zieleinlaufs und dir wachsen Flügel. Schließlich hast du nicht noch quälende 21 Kilometer vor dir, sondern bereits 21 Kilometer hinter dir.

Fazit: 10 Tipps für deine Mentalkraft

Ich hoffe, dir in diesem Artikel einige nützliche Tipps mitgegeben zu haben, wie du deine Psyche trainierst und mental robust wirst:

  • Sei sportlich aktiv: Mehr Selbstbewusstsein fördert die mentale Resilienz.
  • Definiere klare Ziele: Deine Ziele sollten realistisch und zugleich herausfordernd sein.
  • Vorbereitet sein: Sei auf Schwierigkeiten und Eventualitäten vorbereitet in dem du sie vorab in deinem Kopf abspielst. Bleibe aber realistisch, von einem verpassten Trainingsziel geht die Welt nicht unter.
  • Ängste wahrnehmen: Setze dich mit deinen Ängsten auseinander, um mentale Blockaden zu lösen
  • Trainiere deinen Optimismus: Wandle negative Gedanken in positive um und bleibe stets optimistisch.
  • Übe Autosuggestion: Nutze die Kraft der Gedanken, um dich selbst positiv zu beeinflussen.
  • Meditiere regelmäßig: Regelmäßiges Meditieren hilft dir, in Extremsituationen deine Nerven besser im Griff zu haben.
  • Positive Visualisierung: Zapfe mit Visualisierungen dein Unterbewusstsein und verborgene Energiereserven an
  • Selbstreflexion: Lerne aus deinen eigenen Fehlern, aber auch von anderen.
  • Schone dich: Vermeide so gut es geht jegliche Form von negativem Stress

Wer dies alles beherzigt, festigt seine Fähigkeit, sich unabhängig von äußeren Begebenheiten, stets nahe seines Leistungsmaximums zu bewegen und zählt zu den eingangs erwähnten, mental starken 30 Prozent.

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